Obliegenheiten des Versicherungsnehmers bei versteckt mangelhaftem Werk?
1. Ein grob fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers kann zu einem anspruchsmindernden, gegebenenfalls sogar anspruchsausschließenden, Mitverschulden führen, das der Schuldner dem Versicherer entgegenhalten kann.*)
2. Das Abdrehen des Hauptwasserhahns stellt keine Obliegenheit dar, die der Versicherungsnehmer nach dem Verlassen einer Wohnung vornehmen muss, um einem Schaden aus einem Rohrbruch entgegenzuwirken, wenn keinerlei Anhaltspunkte für einen drohenden Schaden bestehen.*)
3. Gegen versteckte mangelhafte Werkleistungen muss ein Versicherungsnehmer keine Vorkehrungen treffen.*)
OLG Celle, Urteil vom 07.04.2021 - 14 U 135/20
BGB § 254 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 631; VVG § 86 Abs. 1 Satz 1
Problem/Sachverhalt
Ein Zahnarzt (Z) beauftragt ein Unternehmen (U), eine Desinfektionsanlage und daran Rohrleitungen zu installieren. Z schließt die Praxis urlaubsbedingt für drei Wochen. Am Wochenende kurz vor Ende des Urlaubs tritt aus einem der Rohre wegen eines von U nicht fachgerecht angebrachten Verbindungsstücks Wasser aus. Z unterhält eine Leitungswasserschäden deckende Inhalts- und Betriebsunterbrechungsversicherung. Der Versicherer (VS) reguliert den Schaden i.H.v. rund 65.000 Euro und regressiert bei U. U meint, dass der VS sich das Mitverschulden des Z, trotz dreiwöchiger Praxisschließung weder die Hauptwasserleitung noch die Wasserzufuhr der Desinfektionsanlage abgesperrt zu haben, anrechnen lassen müsse. Das Landgericht nimmt ein Mitverschulden von 50% an. U meint, die Mithaftungsquote sei höher, der VS meint, es gebe kein Mitverschulden.
Entscheidung
Erfolg hat nur die Berufung des VS. Ein grob fahrlässiges Verhalten des Z kann den Anspruch mindern oder ausschließen (§ 254 Abs. 1 BGB). Mit dem Forderungsübergang gem. § 86 VVG bleiben dem Schuldner die gegen die Forderung bestehenden Einwendungen erhalten. Eine Obliegenheitsverletzung setzt jedoch voraus, dass der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben die zumutbaren Maßnahmen unterlässt, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach Lage der Dinge ergreifen würde, um Schaden abzuwenden oder zu mindern. Welche Maßnahmen zur Verhinderung eines Wasserschadens zu treffen sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, z. B. nach dem Alter der Versorgungsleitungen oder nach der jahreszeitlichen Witterung (vgl. BGH, Urteil vom 25.01.2018 - VII ZR 74/15, IBRRS 2018, 0726). Z hat keine Obliegenheit verletzt. Nicht jede denkbare, mögliche oder sinnvolle unterlassene Schutzmaßnahme führt zu einem Mitverschulden. Es gibt keine generelle Pflicht, Leitungen ohne konkreten Anlass einer Generalinspektion zu unterziehen. Schutz- und Obliegenheitspflichten müssen der Vermeidung realistisch drohender Schäden dienen. Danach ist die Forderung, den Hauptwasserhahn bei Verlassen der Praxis zuzusperren, überspannt. Ein solches Verhalten ist weder üblich noch könnte es von einem vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Menschen nach Treu und Glauben verlangt werden. So kann auch nicht bei nächtlicher Abwesenheit aus einer Wohnung der Hauptwasserhahn abzusperren sein, um einen Wasserschaden durch einen Rohrbruch auszuschließen. Es gab kein konkretes Risiko eines Rohrbruchs. Das Rohr war neu. Gegen mangelhafte Werkleistungen muss ein Versicherungsnehmer ohnedies keine Vorkehrungen treffen. Es ist keine Obliegenheitsverletzung, dass Z nicht die Wasserzufuhr zur Desinfektionsanlage sperrte. Bei einer sachgerechten Montage wäre das Rohr dauerhaft dicht gewesen. Die ohnehin 30 Jahre alte Rechtsprechung zu Leitungswasserschäden bei Spül- und Waschmaschinen ist nicht übertragbar. Denn bei Spülmaschinen sind die Leitungen lösbar, während das hier verwendete Rohr als unlösbar und dauerhaft dicht gilt und nach Aussage des gerichtlichen Sachverständigen nicht mit einer Schlauchverbindung vergleichbar ist.
Praxishinweis
Eine Leistungskürzung bei grober Fahrlässigkeit auf null kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht (BGH, Urteil vom 22.06.2011 - IV ZR 225/10, IBRRS 2011, 2809; OLG Dresden, Beschluss vom 21.11.2019 - 4 U 2082/19). Die Quote, um welche die Versicherungsleistung gekürzt werden kann, hängt vom Einzelfall ab und steht damit in einem ungewissen Umfang im Belieben des Gerichts.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Beweislastverteilung in der Gebäudeversicherung
1. Die Beweislast für eine arglistige Obliegenheitsverletzung trägt der Versicherer; der Versicherungsnehmer, dessen Kenntnis von einem mitteilungspflichtigen Umstand bewiesen ist, trägt hingegen die Beweislast für einen nachträglichen Wegfall dieser Kenntnis.*)
2. Der dem Versicherungsnehmer obliegende Beweis mangelnder Ursächlichkeit einer Obliegenheitsverletzung erfordert, dass der Versicherungsnehmer die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Möglichkeiten sowie die weitergehenden Behauptungen des Versicherers ausräumt. Der Versicherer muss im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast allerdings die konkrete Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses aufzeigen.*)
OLG Dresden, Urteil vom 06.10.2020 – 4 U 2789/19
VVG § 28 Abs. 4
Problem/Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer (VN) verlangt für ein den durch einen Brand beschädigten Gebäudeinhalt 61.807,54 €. Am 09.08.2016 lehnt der Versicherer (VS) eine Regulierung wegen vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungspflicht ab. Das LG weist die Klage des VN ab, da VN seiner Auskunftsobliegenheit vorsätzlich nicht nachgekommen sei; er habe keine Schadensaufstellung mit genauer Bezeichnung der Gegenstände, des Anschaffungspreises und -jahres vorgelegt. VN erklärt, am 22.07.2016 eine Aufstellung an die von VS bevollmächtigte Versicherungsmaklerin übersandt zu haben, z.T. habe er keine Belege gehabt, z.T. er habe nicht gewusst, dass er die Unterlagen noch habe beschaffen können, im Übrigen seien Anschaffungsbelege nicht mehr vorhanden.
Entscheidung
Das OLG weist die Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil bis auf einen geringen Zeitwertbetrag von 2.430,00 € zurück. In Höhe des Zeitwertes ist der Anspruch des VN nicht aufgrund einer Obliegenheitsverletzung ausgeschlossen, auch, wenn VN Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag verletzt hat, indem er VS nicht die von diesem verlangten Auskünfte erteilte. VN wäre hierzu verpflichtet gewesen, soweit ihm dies möglich gewesen wäre. Insoweit handelte VN jedenfalls grob fahrlässig. Wenn VN von einem mitteilungspflichtigen Umstand einmal Kenntnis hatte, wird das Fortbestehen der Kenntnis zum Zeitpunkt der streitigen Aufklärungspflichtverletzung vermutet, mit der Folge, dass VN nach dem Motto „einmal gewusst – immer gewusst“ das Entfallen der einmal vorhanden gewesenen Kenntnis zu beweisen hat. Arglist kann VS nicht beweisen. VS hat keinen Anspruch darauf, eine Vollmacht zur Einholung von Auskünften beim Bau- oder Jugendamt zu erhalten. Eine Leistungskürzung kommt trotz der grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung nicht in Betracht, da VN nachweist, dass die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt noch für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich ist. Mehr als im 2. Leitsatz ausgeführt kann vom VN nicht verlangt werden. VS muss dann die konkrete Möglichkeit eines für ihn günstigeren Ergebnisses aufzeigen. Daran fehlt es. Es liegt schließlich keine Gefahrerhöhung vor. Der bloße Leerstand eines Gebäudes führt nicht zu einer Erhöhung der Brandgefahr.
Praxishinweis
Obliegenheiten begründen für den VN Anzeige-, Mitteilungs-, Auskunfts-, Aufklärungs- und sonstige Verhaltenspflichten, von deren Einhaltung der Anspruch auf Versicherungsschutz abhängen kann. Sie sind weder einklagbar noch führen sie zu Schadensersatzansprüchen. Der VN muss sie vielmehr im eigenen Interesse erfüllen, um die Versicherungsleistung zu erhalten. Entgegen allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen bei Rechtspflichten hat nicht der VN die Erfüllung der Obliegenheit, sondern der VS deren Verletzung zu beweisen.
gez. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Die Elementarschadensversicherung ist nach § 6 Abs. 3 a) FEVB 2001 leistungsfrei, wenn sich das Schadensereignis bei natürlicher Betrachtung weniger als Elementarschaden, sondern überwiegend als die Verwirklichung eines im Gebäude selbst angelegten erheblichen Risikos darstellt und der Elementargewalt eher die Funktion eines letzten Auslösers zukommt.
Der Versicherer muss den Ausschluss-, der Versicherungsnehmer den Wiedereinschlusstatbestand nach § 6 Abs. 4 b) FEVB 2001 beweisen.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.09.2014 – 12 U 63/14
§ 6 Abs. 3 a), Abs. 4 b) FEVB 2001 (Allgemeine Bedingungen der Sparkassen Versicherung Gebäudeversicherung AG über die Feuer- und Elementarschadenversicherung aus dem Jahre 2001)
Strenge Wiederherstellungsklausel: Feststellungsantrag ohne Sicherstellung der Wiederherstellung oder Ersatzbeschaffung zulässig?
1. In der Gebäudeversicherung kann ein Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz der Neuwertspitze auch dann zulässig sein, wenn eine Wiederherstellung oder Ersatzbeschaffung noch nicht sichergestellt ist.*)
2. Die Berufung des Versicherers auf die Ausschlussfrist ist ausgeschlossen, wenn sich der Versicherer über längere Zeit treuwidrig seiner Leistungspflicht entzieht.*)
OLG Dresden, Urteil vom 06.10.2020 – 4 U 2789/19
VVG § 93, AVB § 8
Problem/Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer (VN) macht aus einer Inhaltsversicherung zum Neuwert aufgrund eines Brandes vom 31.10.2015 noch 61.807,54 € geltend. Die Differenz des Zeitwerts zum Neuwert erhält der VN nur, sobald und soweit er innerhalb von 3 Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, um bewegliche Sachen, die zerstört wurden, in gleicher Art und Güte in neuwertigem Zustand wiederzubeschaffen. Am 07.12.2015 zahlt VS auf den Inhaltsschaden 10.000,00 € und auf den Gebäudeschaden weitere 25.000,00 € voraus. Nach Schriftverkehr zwischen VS und VN lehnt VS am 09.08.2016 die Regulierung ab. Zur Sicherstellung der Ersatzbeschaffung der beschädigten Sachen schließt VN am 04.01.2019 einen Kaufvertrag ab.
Entscheidung
Das OLG weist die Berufung des VN gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil bis auf einen geringen Betrag von 2.430,00 € zurück. Der Feststellungsantrag ist zwar zulässig. Es kommt nicht darauf an, ob VN die Ersatzbeschaffung bereits sichergestellt hat. Für die Frage nach der Gegenwärtigkeit des Rechtsverhältnisses ist nicht entscheidend auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung abzustellen. Entscheidend ist, dass nach dem unstreitigen Eintritt des Versicherungsfalls die Grundlagen des Anspruchs gegeben sind. VN steht gegen VS jedoch kein Anspruch auf Zahlung der Neuwertspitze zu. Denn er hat die Neuanschaffung der zerstörten Gegenstände nicht innerhalb der in vereinbarten strengen Wiederherstellungsklausel geregelten Frist von 3 Jahren sichergestellt (31.10.2015 Tag des Schadensfalles, 04.01.2019 Auftragsbestätigung für Neuanschaffung). Es liegt auch kein Fall gemäß dem Leitsatz 2 vor. VS hat den Schaden nicht bestritten und unmittelbar nach Schadenseintritt einen Vorschuss in Höhe von 10.000,00 € bezahlt. VN hätte die Ersatzbeschaffung innerhalb der 3 Jahresfrist sicherstellen können, nachdem VS sich geweigert hatte, weitere Zahlungen zu leisten. Mit dem Betrag von 10.000,00 € hätte VN auch eine teilweise Wiederbeschaffung leisten können. VN kann sich nicht darauf berufen, dass er die Gegenstände nicht habe unterbringen können, weil das Gebäude nicht saniert worden sei; das hat nicht VS zu vertreten. Danach besteht lediglich ein Anspruch auf Erstattung des Zeitwertschadens.
Praxishinweis
Das OLG Köln (Beschl. v. 12.3.2018 – 9 W 7/18) wäre, vom OLG Dresden erkannt, anderer Ansicht gewesen und hätte den Feststellungsantrag als unzulässig abgewiesen. Danach ist für die Gegenwärtigkeit des Rechtsverhältnisses der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung entscheidend. Für den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung kommt es auf die Sicherstellung der Wiederbeschaffung an. In § 93 S. 1 VVG, lediglich eine Auslegungsregel für unklare Versicherungsbedingungen, heißt es zwar, der Restbetrag könne bei Sicherstellung „verlangt“ werden; dort ist also nicht die Entstehung, sondern die Fälligkeit des Anspruchs geregelt. In den üblichen AVB´s und so auch hier ist jedoch geregelt, dass VN den Anspruch „nur erwirbt“, soweit und sobald er die Ersatzbeschaffung sichergestellt hat.
gez. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Der Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers kann verpflichtet sein, die Rechtsanwaltskosten des Geschädigten ersetzen, die dadurch entstanden sind, dass er von seinem privaten Unfallversicherer anwaltlich vertreten Versicherungsleistungen verlangt hat, obwohl sie den vom Unfallverursacher zu erbringenden Ersatzleistungen nicht entsprechen.
§§ 249 ff., 843 BGB a.F.
BGH, Urteil vom 10.01.2006 – VI ZR 43/05 = NJW 2006, 1065